Anikas Welt in Wort & Bild

Kategorie: Tiere

Frosch im Haus

Es war irgendwann im Sommer: Mein Vater hat einen Frosch auf der Hand. Jeden Tag sind wir draußen im Schrebergarten, unserem Wohnzimmer im Freien, ein paar abgezäunte Quadratmeter, auf denen die Natur uns gehört und wir ihr. Rundherum andere Kleinstaaten: Links der stets griesgrämige Nachbar, der sich über den Rasenmäher zur falschen Uhrzeit beschwert, rechts das gutmütige alte Ehepaar, das mit uns den selbstgebackenen Kuchen teilt, hinter uns ein unbekanntes Territorium, vor dem uns Hecken und Rabatten schützen. Vor uns ein riesiges Feld, weitläufiges Nichts, das im Winter brach liegt, und im Sommer von Raps, Weizen oder Mais bevölkert wird und unser Städtchen an den Horizont verbannt.

Mein Vater hat einen Frosch auf der Hand. Er hat ihn im Gebüsch gefunden, hinter der Laube, dort, wo unser Garten an das unbekannte Territorium grenzt. Er ist klein, ungefähr fingerkuppengroß, seine Haut runzlig und ebenmäßig braun, die Kehle wippt in einem fort auf und ab wie ein Herzschlag, der der Welt gehört. Ich habe noch nie so nah einen Frosch gesehen. Reglos sitzt er auf der Hand meines Vaters, als wäre dies der Moment, auf den wir alle gewartet haben. Er ist wunderschön und ich möchte ihn nicht gehen lassen – er ist unser Frosch. Mein Vater baut ihm eine Hütte aus vier Holzwänden, deckt sie mit einer Plexiglasplatte ab, in die wir Löcher bohren, damit Yoshi atmen kann. Auf die Ecken lege ich jeweils einen Stein, damit Yoshis Plastikhimmel nicht fortfliegen kann. Was, wenn ein Vogel käme und ihn auffräße? Nicht auszudenken. Yoshi verdient das beste Leben von allen. Wir stellen sein Häuschen gegenüber meiner Schaukel auf, auf einem verwaisten Beet. Die Holzwände befestigen wir sicher in der Erde. Was braucht ein Frosch? Wasser! Natürlich. Er soll einen ganzen Pool bekommen. Von zu Hause nehme ich eine Plastikdose mit in den Garten. Ich buddele sie soweit ein, dass nur ein winziger Rand aus der Erde ragt. Wir befüllen sie mit Wasser. Neben den Pool stecke ich ein kleines auffaltbares pinkes Schirmchen in die Erde. Yoshi hat jetzt ein Luxus-Leben. Auf das Cocktail-Schirmchen, das ich von irgendeiner Feier mitgenommen habe, bin ich besonders stolz. Dazu noch ein Näpfchen mit Froschsalat. Wir schauen jeden Tag, wie es Yoshi geht. Wenn es regnet, bin ich besonders nervös. Wenn der Wind sein Unwesen treibt, auch. Ist Yoshi noch sicher unter seinem Plastikhimmel? Tag für Tag sitzt er in der Ecke seiner Holzhütte mit dem gleichen stoischen Ausdruck wie am Tag, als er auf der Hand meines Vaters saß.

Eines Tages, vielleicht nach zwei Wochen, lastet der Plastikhimmel unverändert auf den Holzwänden, nichts scheint verrückt worden zu sein. Der Pool lungert verwaist in seiner Erdgrube, das pinke Schirmchen hält tapfer die Stellung. Von Yoshi keine Spur. Hat er sich einen Fluchttunnel gegraben? Doch nichts dergleichen ist zu sehen. Ist das Plexidach einen Moment lang weggeflogen? Ich stelle mir vor, wie Yoshi schutzlos in seinen vier Wänden sitzt. Kurz darauf entdeckt ihn ein Vogel, der ihn entführt und unwiederbringlich seinem kleinen Reich entreißt. Ich finde keine Erklärung. Yoshi ist weg und der Platz, der ihm gehörte, leer. Ich sage mir, dass es vielleicht so kommen musste und er es jetzt besser hat. Wer ist schon gern dauerhaft in einer Luxus-Suite eingesperrt? Eigener Pool mit Schirmchen hin oder her, ein Froschleben ist zwar klein, aber so ganz allein auch kein Hauptgewinn. Ob Yoshi sich manchmal einsam gefühlt hat, obwohl wir ihn jeden Tag besucht haben? Vielleicht hat er den Pool sogar gehasst und das Schirmchen verflucht. Ich frage mich, was Yoshi jetzt wohl macht, zum Beispiel, ob er so klein geblieben ist, wie er an dem Tag war, als er auf der Hand meines Vaters saß. Vielleicht hat er sich verwandelt und ist zu einer stattlichen Kröte geworden. Irgendwo da draußen springt ein brauner Frosch durchs Gebüsch, der zwei Wochen lang mir gehörte und dann wieder der Welt.

Leipziger Stadttaubenhilfe: Engagement für verwilderte Haustiere

Gegenüber der S-Bahn-Station am Bayrischen Bahnhof herrscht reges Flattern. Zwei dunkelgrüne übereinandergestapelte Schiffscontainer lassen kaum erahnen, was sich im Inneren befindet: auf der oberen Etage ein umgebautes „Taubenloft“, das mittlerweile voll ausgelastet ist und 180 Tauben ein Zuhause bietet; auf der unteren Etage ein Lagerraum voller Utensilien, die für die Versorgung der Vögel und die Pflege des Taubenschlages gebraucht werden. Gesponsert wurde der Schlag von der Deutschen Bahn, die damit die Tauben aus der unterirdischen S-Bahn-Station direkt nebenan herauslocken möchte. Loris kam unkompliziert per Instagram-Nachricht zu seinem neuen Ehrenamt und hilft jede Woche am Bayrischen Bahnhof aus. „Ich mag Tauben. Ich sehe die häufig in der Stadt und habe mich gefragt, ob man denen helfen kann.“ Kommen Tauben nicht alleine klar? Ich frage ihn wie andere auf seine neue Freizeitbeschäftigung reagieren. Er winkt ab: „Negative Kommentare gab es bis jetzt noch keine. Viele sind fasziniert und fragen, was man da überhaupt macht.“

Tauben am Schlag des Bayrischen Bahnhofs

Ehrenamtliche packen an

Die Leipziger Stadttaubenhilfe hat es sich zur Aufgabe gemacht, die gefiederten Stadtbewohner artgerecht zu versorgen, bei Notfällen tiermedizinische Hilfe zu vermitteln und über die Lebenssituation von Tauben aufzuklären. Im Stadtgebiet verteilt betreut der Verein insgesamt drei Taubenschläge. Dort bekommen die Vögel artgerechtes Körner-Futter, eine sichere Nist- und Rückzugsmöglichkeit. Frisch gelegte Eier tauschen die Ehrenamtlichen gegen Gips-Attrappen aus, um sowohl die Population in Grenzen zu halten als auch künftiges Taubenleid zu verringern. Die Stadttaubenhilfe folgt damit dem sogenannten Augsburger Modell, das sich deutschlandweit als Erfolgskonzept etabliert. Es setzt auf betreute Taubenschläge, die an Hotspots wie Bahnhöfen, an denen viele Tauben brüten, aufgestellt werden. Besonders der größte Taubenschlag am Bayrischen Bahnhof setzt dieses Modell konsequent um. Henrike, die zum Vorstand der Stadttaubenhilfe gehört, gibt mir nähere Einblicke in die Vereinsarbeit. 2013 begann eine Handvoll Engagierter aus dem Tierschutz sich in Leipzig für Stadttauben einzusetzen, inspiriert von den bereits bestehenden Stadttaubenhilfe-Vereinen in Berlin und Hamburg. Erst 2019 sei die Gründung als Verein erfolgt. Alles läuft spendenbasiert und rein ehrenamtlich. Henrike erzählt, dass sie selbst in der Corona-Zeit zur Stadttaubenhilfe gekommen sei: „Damals gab es diese Artikel im Internet, dass die Tauben durch den Lockdown in der Stadt nichts mehr zu fressen finden und verhungern. Da wollte ich etwas tun.“

Tauben brauchen Schutz

Die heutigen Stadttauben sind die Nachfahren von Haus- und Brieftauben, die früher für ihr Fleisch, ihre Eier und ihre Funktion als verlässliche Postboten geschätzt und gezüchtet wurden. Mit dem Verlust ihrer Nützlichkeit schwand ihr positives Image. Ihre Nachkommen verkamen zu Störenfrieden, die um Futter betteln und im Verdacht stehen, Krankheiten zu übertragen und mit ihrem Kot Hausfassaden zu zersetzen. Dabei werden die Schäden, die man ihnen nachsagt, in jeder Hinsicht massiv überschätzt. Futtermangel, falsche Ernährung durch Angewiesensein auf Essensreste und Verletzungsrisiken durch herumliegenden Müll setzen ihnen in der Stadt zu. Um ein artgerechtes, langes Leben führen zu können, brauchen sie die Unterstützung der menschlichen Stadtgesellschaft. Ich laufe ein paar Mal im Tauben-Container mit und kenne schon bald die Routine: Eier tauschen, Wassertränken erneuern, Kot entfernen, neues Streu verteilen, Futter-Raufen befüllen, schauen, ob es den Tauben gut geht. Ein Taubenschlag an einem belebten Knotenpunkt zieht auch viele neugierige Blicke auf sich. „Ich ekel mich ja schon vor denen…“, meint eine Passantin nachdem ich ihr erkläre, dass hier Stadttauben versorgt werden. Die Abneigung gegen die gefiederten Stadtbewohner sitzt bei vielen tief. Warum eigentlich? „Kennt man ja so, die Ratten der Lüfte“, antwortet sie schlicht.

Rege Rückkehr nach Saubermachen des Schlages

Stadtverwaltung als Herausforderung

Anhaltendes Konfliktthema ist für die Stadttaubenhilfe die fehlende Kooperation mit der Stadt Leipzig. Dazu Henrike: „Die Stadt behauptet, es gäbe kein Taubenproblem. Dabei ist der Taubensport und die -züchtung erlaubt, wodurch noch mehr Tauben in die Stadt kommen.“ Auf eine Anfrage der Linkspartei an die Stadt Leipzig zum Umgang mit Stadttauben antwortet das Ordnungsamt, dass der Stadttaubenhilfe-Verein bekannt sei und begrüßt werde, aber keine finanzielle Unterstützung erhalte. Die Fachförderrichtlinie zur Unterstützung von Tierschutzarbeit in Sachsen gelte hauptsächlich für Heimtiere, worunter Stadttauben per Definition nicht fallen. Da sie durch ihre Abstammung von Haustieren aber auch nicht als Wild- und Fundtiere betrachtet werden können, sieht sich die Stadt nicht in der Verantwortung, finanzielle Hilfen beizusteuern. Als verwilderte Haustiere leben Tauben in einer Grauzone. Henrike merkt an, dass vonseiten der Stadt das Veterinäramt zumindest bei Impfaktionen unterstütze, auch wenn die Expertise der Ehrenamtlichen dort bisher nicht ernstgenommen werde. Langfristiges Ziel sei es, „die Stadt zu knacken“: „Wir wollen erreichen, dass sie einsieht, dass es ihre Verpflichtung ist, sich um die Tauben zu kümmern, aber auch zu ihrem Vorteil — und dafür kann unser Erfahrungsschatz genutzt werden.“ Optimistisch stimmt Henrike die zunehmende Bekanntheit des Vereins, bedingt durch Infostände, Präsenz auf Social Media und ein zunehmendes mediales Interesse. Hoffnung machen die zahlreichen privaten Spender und ein wachsendes Team an Ehrenamtlichen, denen es am Herzen liegt, sich für ein würdiges Stadttaubenleben einzusetzen — aller Herausforderungen zum Trotz.

[Diese Reportage ist im Rahmen eines Seminars entstanden.]

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