Warum ein Traumtagebuch den Unterschied macht
Wir alle träumen. Jede Nacht. Meistens können wir uns nur nicht daran erinnern. Wozu auch? Unsere nächtlichen Abenteuer sind schließlich nicht real. Und alles, was nicht real ist, ist irgendwie unwichtig und Unwichtiges wird nicht im Gedächtnis gespeichert. Logisch. Aber ist das wirklich so unwichtig? Einen großen Teil unseres Lebens verbringen wir schlafend, nämlich ein Drittel. Wäre es nicht ein Geschenk, auch während dieser Zeit Abenteuer zu erleben, anstatt dass wir unsere Träume buchstäblich verschlafen? Was passiert, wenn wir anfangen, uns aktiv mit unseren Träumen zu beschäftigen? Ich wollte es wissen. Mittlerweile läuft mein kleines Experiment schon seit einiger Zeit – um genau zu sein seit dem Frühjahr 2017.
Seitdem führe ich ein Traumtagebuch. Das ist ein besonderes Tagebuch, in das ich direkt nach dem Aufwachen hineinschreibe, was ich geträumt habe – und das ist gar nicht so einfach, wie es klingt. Manchmal drehe ich mich einmal zu viel um und schwupps, wird mein Traum unklar und ich kann mich an kein Detail mehr erinnern, nur ein undefinierbares Gefühl bleibt zurück. Um Träume aufzuschreiben, ist Schnelligkeit alles. Doch daran mangelt es im Halbschlaf fast immer. Mit der Zeit ist meine Traumerinnerung immer besser geworden. Wenn ich mal eine Phase habe, in der mir meine Träume weniger wichtig sind und ich mich nicht mit ihnen beschäftige, nimmt diese Fähigkeit merklich ab. Doch kaum interessiere ich mich wieder stärker für das Thema, erinnere ich mich sehr oft und sehr lebhaft an meine Traumerlebnisse. In meinen Träumen gibt es wiederkehrende Orte und Personen, manche fiktiv, andere halbfiktiv aus Realem und Geträumtem zusammengesetzt. Das Faszinierende ist, dass alles, was im Traum auftaucht, aus einem selbst heraus entsteht. Mit Bleistift kritzle ich die Abenteuer der letzten Nacht nieder und suche darin nach dem roten Faden. Warum ich das mache? Das Ziel ist seit Jahren ein und dasselbe: Luzides Träumen.
Ein luzider Traum ist ein Traum, in dem dir bewusst wird, dass du gerade träumst. Dadurch kann man aktiv auf das Geschehen im Traum Einfluss nehmen und ihn nach den eigenen Wünschen formen. Wer würde nicht gern fliegen oder durch Wände gehen können? Im Traum ist alles möglich. Und im Gegensatz zu einem Tagtraum fühlt sich ein luzider Traum ungemein real an. Wäre es nicht traumhaft, eine alternative Realität zu erleben, die wir mit allen fünf Sinnen wahrnehmen können, aber selbst formen und entscheiden, was wir erleben möchten? Für mich hört sich das so unglaublich an, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass es da draußen Menschen gibt, die das nicht gern könnten – wenn sie denn nur davon wüssten, dass so etwas überhaupt möglich ist.
Es heißt, dass jedes Kind luzid träumen kann. Im Laufe des Erwachsenwerdens verlieren die meisten diese Fähigkeit. Erst dann lernt so manch eine/r, was es mit dem luziden Träumen auf sich hat und möchte es wieder erlernen. So geht es mir. Um überhaupt luzid träumen zu können, ist der wichtigste Zwischenschritt, sich regelmäßig an die eigenen Träume zu erinnern. Ein Traumtagebuch ist dafür die wohl beste Methode. Damit suggeriere ich meinem Gehirn: „Hey, meine Träume sind mir wichtig, ich will mich daran erinnern!“
Erzwingen lässt sich ein luzider Traum aber nicht, im Gegenteil. Übung hilft, also das Führen des Tagebuchs, sogenannte Realitäts-Checks, vor allem aber ein Trick, der so banal wie naheliegend ist: die Beschäftigung mit dem Thema während des Wachseins. Im Internet zirkulieren zahlreiche Methoden, die das luzide Träumen begünstigen sollen, deswegen erspare ich mir eine komplette Anleitung. Nur so viel sei gesagt: Neben einem Traumtagebuch ist ausreichender Schlaf und ein regelmäßiger Rhythmus wichtig. Oft ist die Traumerinnerung dann besonders stark, wenn man morgens kurz aufwacht und dann nochmal einschläft. Außerdem kann es wirksam sein, sich im Laufe des Tages immer mal zu fragen, wie man an einen bestimmten Ort gekommen ist und zu visualisieren, was man vor der aktuellen Handlung eigentlich getan hat. Im Gegensatz dazu passiert im Traum nämlich alles einfach so, ohne Kontext. Und das kann der entscheidende Punkt sein, der zur Bewusstwerdung führt und eine Steuerung des Traums ermöglicht.
Obwohl ich mich immer besser an meine Träume erinnern kann, sind die Szenen und die Gefühle, die ich erlebe, oft so nah an meiner realen Realität, dass ich leider extrem selten merke, dass ich träume. Letztlich spielt Entspannung meiner Meinung nach eine Hauptrolle. Wer sich oft gestresst und unter Druck fühlt, wird dies auch in Träumen erleben – dann zu realisieren, dass das alles nicht real ist, ist ein Kunststück, auf das mein Unterbewusstsein meistens keine Lust hat. Aber ich gebe nicht auf. Die Fähigkeit zum luziden Träumen kann sich in jeder Lebensphase ändern, also sich verbessern oder auch wieder abnehmen. Allein die Erinnerung an meine Träume ist bereits wahnsinnig aufschlussreich. Ich sehe darin Muster, wiederkehrende Themen und manchmal auch Probleme, die meinem Unterbewusstsein offenbar sehr wichtig sind, die ich im wachen Zustand aber lieber wegschiebe. Träume lügen nicht. Ich bin mittlerweile überzeugt: Wer verstehen will, wer er oder sie wirklich ist, sollte anfangen, sich mit den eigenen Träumen zu beschäftigen. Luzide Träume sind dann eher das Sahnehäubchen.
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