Ohne geht nicht. Jedes Jahr probiere ich einen neuen aus, doch endlich, ja, endlich habe ich den einen gefunden, der es für immer sein soll – vorerst jedenfalls. Ich rede von niemand geringerem als dem täglichen Begleiter an meiner Seite: dem Buchkalender. Im vergangenen Jahr stieß ich dank einer Freundin auf “Ein guter Plan” und nach kurzer Zeit wusste ich: Dieser Kalender wurde für mich erstellt. Für mich! Na gut, auch für alle anderen, die ein bisschen wie ich sind, sich nach Entschleunigung sehnen und sich selbst im täglichen Durcheinander nicht verlieren wollen.
Gesellschaftliche Ideale, ständige Selbstoptimierung und pseudoreligiös propagiertes Leistungsstreben können extrem anstrengend sein. Gerade der Terminkalender ist eines der wichtigsten Alltagswerkzeuge, um bei all den Anforderungen, die die Welt an uns stellt, und allen Erwartungen, die wir an uns selbst stellen, und die Schritte die wir unternehmen, um unsere Ziele zu erreichen, einen Überblick zu behalten. Warum sollte nicht genau dieses Utensil mit Liebe gestaltet und Achtsamkeit angefüllt sein?
Okay, es gibt wahrscheinlich viele Buchkalender, die jedes Jahr antreten und mit weisen Sprüchen um die Gunst der Verplanten buhlen. Was mir aber an “Ein guter Plan” so gut gefällt, ist, dass die Macher*innen Achtsamkeit nicht mit toxischer Positivität und Selbstliebe nicht mit permanenter Selbstoptimierung verwechseln. In jeder Woche erwartet mich ein inspirierendes Zitat sowie ein Kommentar, der oft sehr bestärkend ist und mich mit dem Gefühl zurücklässt: Dieser Kalender versteht mich. Nichts davon klingt nach klugen Sprüchen, sondern ist sorgsam ausgewählt und trifft oft mitten ins Herz. Es ist unübersehbar, dass “Ein guter Plan” von Menschen erstellt wurde, die aus eigener Erfahrung wissen, worauf es ankommt, um sorgsam mit sich und der eigenen Psyche umzugehen.
Hier geht es ganz klar um ein Herzensprojekt, das ein Herzensprodukt hervorgebracht hat. Und das wird auch im Design deutlich: Jeder “gute Plan” hat einen stabilen Leineneinband und einen in minimalistischer Typographie eingeprägten “Ein guter Plan”-Schriftzug. Als Fan hochwertiger Notizbücher komme ich also voll auf meine Kosten. Auch die wöchentliche Seitenaufteilung entspricht genau meinem Stil: Auf der linken Seite eine Übersicht der kompletten Woche und auf der rechten genügend Platz für alle anderen To-Dos, Gedanken und Krakeleien. Damit man sich am Anfang auch wirklich traut, die ersten Seiten dieses schönen Buches zu beschmaddern, gibt es zu Beginn ein Feld, das zu Kritzeleien einlädt. Das habe ich echt gebraucht…
“Ein guter Plan” ist ein Kalender, der zu einer ausführlichen Selbstreflektion animiert. Bevor der wöchentlich wiederkehrende Kalenderteil losgeht, wartet “Ein guter Plan” mit allerhand Übungen zur Selbstreflexion auf. Das ist wie eine Kurztherapie in Buchform. Man wird dazu angeregt, mal alle Meilensteine und guten Erinnerungen aufzuschreiben, die man schon im Leichtgepäck hat – ein positiver Rucksack sozusagen. Natürlich gibt es auch eine Bucket List, aber nicht ohne eine umgedrehte Eimerliste auf der man bewundern kann, was man sich alles schon verwirklicht hat. Es tut richtig gut, das alles einmal aufzuschreiben. Denn (auch) ich bin ein Mensch, der notorisch über die eigenen Erfolge hinweggeht, als wären sie nichts weiter als erfüllte Erwartungen, die keiner extra Wertschätzung bedürfen. Nicht nett von mir. Wie gut, dass mein Kalender mich nun achtsam darauf hinweist.
Die Reflexionsangebote ziehen sich anschließend durch den ganzen Kalender, jeder Tag lädt dazu ein, in Kurzform festzuhalten, wie gut der Schlaf war, wie hoch der Stresspegel, wie viel Entspannung man sich gegönnt hat, ob man genügend gegessen, getrunken, sich bewegt hat. Dabei vergisst das Buch nicht zu betonen, dass es sich um Angebote handelt, die zur Reflexion einladen und kein Muss sind. Wem’s gefällt, der*die kann die Reflexionskästchen auch einfach bunt anmalen – oder achtsam ignorieren. Das Buch nimmt’s einem nicht übel, denn gerade der einführende Reflexionsteil ist ausführlicher, als ich von einem Terminkalender jemals erwarten würde.
Als überzeugte Dankbarkeitstagebuchschreiberin musste ich mir vom gleichen Verlag auch “Ein guter Tag” zulegen. Denn wie schnell passiert es, dass wir das Gute an schlechten Tagen übersehen? Kein guter Tag, kein Grund zum Nörgeln. Bewusstes Wertschätzen dessen, was man hat, wirkt sehr heilsam, vor allem, wenn es täglich praktiziert wird. Schreiben ist meine Meditation.
PS: Diese Rezension ist nicht gesponsert(auch wenn ich nichts dagegen hätte), sondern aus persönlicher Überzeugung geschrieben. Auf, dass die guten Pläne mich in den kommenden Jahren weiterbegleiten werden.
Wer gern Sprachen lernt, stößt früher oder später auf die Sprache aller Sprachen. Achtung: Es ist weder Englisch noch Chinesisch. Ich meine Esperanto, die Sprache, die aus einem Best Of des romanischen, germanischen und slawischen Wortschatzes besteht und erschaffen wurde, um weltweit sprachliche Differenzen zu überwinden – und mit ihnen nationalistisches Geschwurbel und jegliches Gedankengut, das unüberbrückbare, entzweiende Unterschiede propagiert. Esperanto hat große Ambitionen und will nichts weniger als den Austausch zwischen allen Menschen fördern, damit wir uns endlich als eine große Familie begreifen. Und was braucht eine Familie? Eine gemeinsame Sprache, die möglichst neutral ist, also nicht kolonial-imperial-national vorbelastet. Ein Riesenprojekt. Eine Utopie? Ja, aber eine lebendige.
Esperanto wird gern ausgelacht. Von allen Sprachen ist es das wahrscheinlich größte Mobbing-Opfer. Ich will nicht, dass jemand Esperanto aus Mitleid lernt, sondern weil die Philosophie und die Menschenliebe, die hinter der Erschaffung dieser Sprache steckt, so universell wie genial ist. Esperanto wird meistens deswegen angegriffen und verlacht, weil es eine Plansprache ist – und deshalb erscheint es schnell pauschal sinnlos, sich damit zu beschäftigen. Aber das ist zu kurz gedacht. Denn es heißt nicht umsonst: Don’t judge a book by its cover. Oder besser gesagt: Ne juĝu libron laŭ ĝia kovrilo.
Vor dem II. Weltkrieg erfreute sich Esperanto einiger Beliebtheit. Doch da der Erfinder, der polnische Augenarzt Ludwik Lejzer Zamenhof (1859-1917) jüdischer Herkunft war, wurde Esperanto als Teil der jüdischen Weltverschwörung, die nach Nazi-Logik dazu diente, die weltweite Herrschaft zu übernehmen, bekämpft und die Esperanto-Kultur während des Nationalsozialismus verboten. Englisch setzte sich schließlich als globale Lingua franca durch und obwohl die Verbreitung des Englischen offensichtlich mit der Kolonialgeschichte verknüpft ist, nehmen das die meisten Menschen zumindest hin. Trotz allem: Esperantist*innen, also Menschen, die Esperanto sprechen und die damit verknüpften Werte leben, haben sich nicht unterkriegen lassen.
Zugegeben: Im Wettlauf um die Welt wurde Esperanto vom Englischen längst überholt und der Traum von einer neutralen Weltsprache ist heute nach wie vor eine Utopie. Das hält Liebhaber*innen aber nicht davon ab, fleißig in der Sprache zu kommunizieren und zu publizieren. Es gibt Esperanto-Zeitschriften, Esperanto-Nachrichtenportale, Wikipedia auf Esperanto und sogar ein weltweites Netzwerk esperantosprachiger Gastgeber, die Reisenden kostenlose Unterkunft anbieten – vorausgesetzt man spricht selbst Esperanto. Es gibt auch ein Fernstudium der Interlinguistik und Esperantologie – und etwa 1000 Esperanto-Muttersprachler*innen (sagt Wikipedia, aber immerhin), genuine Schriftsteller*innen und eine Vielzahl an in Esperanto übersetzter Literatur. Die Sprache ist somit kein nerdiges Hobby einzelner Linguistik-Enthusiast*innen, sondern ist von echter kultureller Relevanz.
Esperanto hat dennoch ein besseres Schicksal verdient. Böse Zungen behaupten, dass es mitnichten als neutrale Weltsprache taugt, denn es setzt sich aus allerlei europäischen Sprachen zusammen und ist damit ganz klar europäisch zentriert. Für eine Chinesisch-Muttersprachlerin mag das Erlernen von Esperanto ähnlich kompliziert sein wie Englisch – aber nicht ganz. Denn es ist wesentlich leichter als jede andere europäische Sprache und kann als Grundlage dienen, um später andere Sprachen wie Spanisch, Polnisch, Italienisch, Deutsch etc. zu lernen. Da Esperanto eine grammatische Regelmäßigkeit hat, von der die meisten Sprachlernenden nur träumen können, stellen sich schneller Erfolgserlebnisse ein. Das ist wichtig, denn die Erfahrung, sich erfolgreich eine Sprache angeeignet zu haben, motiviert ungemein, um eine weitere zu lernen. Warum sich also zuerst an Englisch die Zähne ausbeißen? Es könnte so viel leichter sein – mit Esperanto, der Sprache der Hoffnung.
Ich sehe es nicht als unbedingten Nachteil an, dass Esperanto eurozentriert ist. Eine Sprache, die sich zu gleichen Teilen aus allen existierenden Sprachen der Welt zusammensetzt – wer macht sich die Arbeit, zuerst alle Sprachen der Welt zu lernen, um dann Esperanto Reloaded zu erfinden? Ich bezweifle, dass ein Mensch so etwas leisten kann; ein Kollektiv vielleicht. Am ehesten würde das bestimmt eine künstliche Intelligenz schaffen. Aber dann käme sicherlich der Vorwurf, dass Esperanto Reloaded keine menschengemachte Sprache mehr ist und damit ungeeignet für neutrale internationale menschliche Kommunikation. Esperanto behält also seine volle Berechtigung.
Europa ist, im Vergleich zu anderen Kontinenten, eine winzige, sprachlich zersplitterte, seltsam geformte Halbinsel. Ich glaube gern daran, dass es Werte gibt, die historisch alle Europäer*innen teilen, die aber nicht so offensichtlich sind, weil wir alle andere Sprachen sprechen, eigene Regierungen und Gesetze haben und sich jedes europäische Land ein bisschen wie der Nabel der Welt aufführt, manche kommen sich wichtiger als andere vor und andere lernen deswegen die Sprache des nächstgrößten Nachbarn. Gerade in Zeiten, in denen Europa von rechtspopulistischen Kräften zerrieben wird, höre ich nicht auf davon zu träumen, dass es eines Tages die Vereinigten Staaten von Europa geben kann. Und Esperanto wird unsere Sprache sein. Träumen ist ja noch erlaubt, zumal die Anzahl der Esperanto-Lernenden angeblich steigt. Außerdem hätten wir sogar eine eigene Hymne, “La Espero” (die Hoffnung), die ohne nationalistischen Quark auskommt und mich gerade deshalb ein bisschen sentimental werden lässt.
Esperanto mag eine Plansprache sein, doch sie hat eine eigene, lebendige Kultur hervorgebracht, die höchst inklusiv und an kein Territorium gebunden ist. Wie cool. Dafür, dass sie (bis jetzt) in keinem einzigen Land der Welt eine anerkannte Amtssprache ist, ist ihre heimliche Soft Power nicht zu unterschätzen. Keiner weiß wie viele Menschen weltweit Esperanto als Fremdsprache erlernen und aktiv sprechen, eine halbe bis zwei Millionen sagt Wikipedia. Mir persönlich erscheint es allemal nützlicher als Latein. Zumindest sollte jede und jeder wenigstens einmal ganz ohne Witz und besserwisserischem Hohn von Esperanto gehört haben und dann selbst entscheiden, ob sich eine tiefere Beschäftigung damit lohnt. Ich habe die Sprache längst in mein Herz geschlossen, auch wenn meine Kenntnisse sich noch auf Anfänger-Niveau bewegen. La Espero werde ich stets gut gebrauchen können. La Espero mortas laste. Vivu Esperanto!
Zum Weiterlesen empfehle ich das deutschsprachige Portal www.esperanto.de sowie das wunderbare Video “Esperanto Explained”. Und falls du jetzt überzeugt bist und unbedingt Esperanto lernen willst, schau doch mal auf lernu! vorbei. 😉
Erzählt von Johannes Nichelmann, herausgegeben vom Städel Museum (Sprachen: Deutsch oder Englisch)
Vincent van Goghs Lebenswerk ist nicht nur unumstößlich in die Kunstgeschichte eingegangen, seine Person wurde wie kaum eine andere zur Symbolfigur des wahnsinnigen Künstlers stilisiert. Seine Lebensumstände, die von Armut und Krankheit gezeichnet und vom Missverständnis der damaligen Gesellschaft gegenüber seiner Kunst geprägt waren, trugen zum Mythos van Gogh bei – nicht zuletzt auch sein tragischer, als viel zu früh zitierter Tod.
Nicht weniger mysteriös ist das Kunstwerk, dem der Podcast „Finding van Gogh“ auf die Spur kommen möchte: Das „Porträt des Dr. Gachet“, welches seit Jahren als in unbekanntem Privatbesitz verschollen gilt, und van Goghs letztes Bild war, das er 1890 kurz vor seinem Ableben malte. Es zeigt den französischen Arzt Paul-Ferdinand Gachet, in den van Gogh zunächst große Hoffnung auf Heilung von seinem Leiden setzte, ihn aber als ebenso krank und dadurch als Helfer ungeeignet einschätzte. Doch nicht nur Inhalt und Entstehung des Porträts bergen zahlreiche historische wie biografische Anekdoten. Nach van Goghs Tod unternimmt das Gemälde eine unfreiwillige Reise durch die Wirren des 20. Jahrhunderts, wechselt Besitzer/innen, wird Zeuge historischer Momente und integraler Bestandteil derjenigen Lebensgeschichten, dessen Wege das Werk kreuzt und nachhaltig berührt.
Während die erste Podcast-Folge hauptsächlich von van Goghs Person und der Entstehung des „Dr. Gachet“ handelt, entspinnt sich die Reihe zu einem historischen Krimi, der die Wege des Gemäldes nachzuzeichnen sucht. Johannes Nichelmann, der durch den Podcast führt, interviewt zahlreiche Menschen, die etwas über diese Odyssee, die Bedeutung des Werkes und van Goghs Charakter zu sagen haben. Immer wieder trifft er auf Menschen, die behaupten, sie wüssten, wo sich das „Porträt des Dr. Gachet“ befände – sie könnten es aber nicht verraten. In der Welt der Kunst herrscht viel Geheimniskrämerei, Kunstsammler/innen und Kurator/innen sprechen lieber von Diskretion.
Gegen Ende der Podcast-Reihe taucht Johannes Nichelmann in die Funktionsweise des Kunstmarktes und seiner spektakulären Auktionen ein – ein Markt auf dem jeder Preis möglich ist und weltberühmte Werke zu Millionensummen an private Investoren verhökert werden. Das endlose Nicht-verraten-wo-der-„Dr. Gachet“-ist unterstreicht den Exklusivitätsanspruch einer kleinen Elite, die damit, dass sie überhaupt dazu in der Lage ist, teure Kunst zu ersteigern, sie in ihren Wohnzimmern aufzuhängen und in Lagerhallen zu begraben, ihren Status pflegt. Ein im Podcast zu Wort kommender Auktionator erklärt, es sei ein demokratisches Ideal, dass Kunst, vor allem die einflussreichen, berühmten Werke, die alle sehen wollen, der Welt gehörten. Doch dieses Ideal sei im Grunde lächerlich, denn Kunst werde dafür geschaffen, dass sie jemandem gehöre. Und die Besitzenden letztendlich damit tun dürfen, wonach ihnen der Sinn steht.
Nichts da mit öffentlichem Interesse, welches der Willkür einer kaufkräftigen Superelite vorangestellt wird. Selbst zu einer Leihgabe ans Museum können private Kunstsammler/inne nicht verpflichtet werden. Alles ganz schön makaber, wenn man bedenkt, dass van Gogh zu Lebzeiten mit bitterer Armut vorlieb nahm, um sich ausschließlich dem Malen widmen zu können. Was er wohl davon gehalten hätte, wenn er wüsste, wie es seinem „Porträt des Dr. Gachet“ ergangen ist? Angeblich war ihm schon damals der Kunstmarkt zuwider und er stellte die Idee, dass Kunstwerke als Besitztümer gehandelt werden, öffentlich in Frage. Zeitlebens stand er nicht nur am Rande der Gesellschaft, sondern war selbst unter den Kunstschaffenden seiner Zeit wohl eher ein Querdenker, der gern experimentierte und dafür alles andere als Beifall erntete. Dieser brisante Aspekt wird im Podcast angeschnitten, aber in seinen ethischen Implikationen für das heutige Kunstgeschäft kaum weiter diskutiert. In den Gesetzen des freien Marktes hat Ethik nun mal keinen Platz.
Zugute halten muss man dem Podcast, dass er sich eingehend mit der Gratwanderung der Trennung und Verschmelzung von Werk und Künstler beschäftigt. Immer wieder scheinen Versuche durch, den Mythos van Gogh zu entmystifizieren – allerdings ohne Erfolg. Aber darum scheint es auch nicht zu gehen. Die Faszination eines Malers, der zahlreiche Künstler/innen des 20. Jahrhunderts inspiriert hat, hält bis heute an und eint Generationen Kunstinteressierter, die seine Übergröße am Leben erhalten. Ob das „Porträt des Dr. Gachet“ schließlich gefunden und an seinen einst angestammten Platz im Städelmuseum von Frankfurt zurückkehren darf, erfahrt ihr hier:
„Ach, wie schön wäre es, wenn ich endlich [füge Fremdsprache ein] sprechen könnte.“ Nicht wenige Menschen träumen davon, eine neue Fremdsprache zu erlernen. Nicht selten bleibt es beim Träumen, denn nachdem die anfängliche Euphorie der nicht ganz so romantischen Realität weicht, merken viele: Sprachen zu lernen macht richtig Arbeit. Anfangs ist die Begeisterung noch groß, die Anmeldung für einen Sprachkurs unkompliziert und praktisch. Sich aufzuraffen und zum Kurs zu gehen, ist für den inneren Schweinehund wesentlich einfacher umsetzbar, als sich aus freien Stücken, sprich aus intrinsischer Motivation, zum Lernen zu bewegen. Ausgerechnet während des Corona-Lockdowns witterten viele Menschen ein Zeitfenster, das es ihnen erlaubte, sich an eine neue Sprache heranzutasten. Ausnahmsweise war endlich mal genügend Zeit verfügbar, die sonst nicht da ist (Ja, wo ist sie nur?). Genügend Ressourcen bietet das Internet zuhauf und auch Sprach-Apps werden immer zahlreicher. Doch was funktioniert wirklich? Und vor allem dauerhaft?
Aus Erfahrung weiß ich mittlerweile, dass Sprachen nur lebendig bleiben, wenn sie regelmäßig im Alltag eine Rolle spielen. Einige Sprachen habe ich jahrelang gelernt, aber nach gewisser Zeit wieder „abgebrochen“, weil sich die Lebensumstände oder die Interessen verändert haben. Sprachen, die ich über mehrere Jahre fleißig gepaukt habe, sind heute allenfalls rudimentär abrufbar. Latein, Spanisch, Russisch, Chinesisch. Wir hatten eine gute Zeit, aber ich habe mich nicht ausreichend um euch gekümmert – sorry.
Irgendwann entschied ich, dass es so nicht weitergehen kann. Ich liebe Sprachen. Wirklich etwas mit ihnen anfangen – das heißt, mich unterhalten, Bücher und Artikel lesen, Filme und Serien schauen, mich natürlich in einer Fremdsprache bewegen und frei ausdrücken können – kann ich aber nur, wenn ich endlich konsequent am Lernen dranbleibe.
Um die Begeisterung beizubehalten, spielen für mich rationale Gründe maximal eine Nebenrolle. Zum Beispiel haben Chinesisch, Spanisch und Russisch weltweit wahnsinnig viele Sprecher/innen. Aber das hat mich emotional nie so richtig überzeugt. Ich wollte viel lieber die Sprachen lernen, die mir automatisch immer wieder begegneten: Italienisch, weil ich gern nach Italien reise, Neapel als meine zweite Heimat empfinde und italienische Literatur mag.
Und Koreanisch, weil ich leidenschaftlich gern koreanische Serien schaue sowie der Musik von BTS (siehe Bild, Eingeweihte werden es verstehen 😉 ) und Epik High verfallen bin. Das könnte auch bei der Wahl einer neuen Fremdsprache hilfreich sein: Leidenschaft kann auf Dauer viel ausschlaggebender sein als rein praktische Erwägungen wie zum Beispiel die Anzahl der weltweiten Sprecher/innen. Aber die Motivationen können natürlich so unterschiedlich sein wie die Menschen.
Tandempartner/innen, die deine Lernsprache muttersprachlich können, sind Gold wert. Aber nicht immer hat man für regelmäßige Treffen Zeit und/oder findet unkompliziert Muttersprachler/innen in der eigenen Stadt. Außerdem kann es mehrere Anläufe dauern, bis man jemanden findet, mit dem über den Sprachaustausch hinaus auch die Interessen-Chemie passt. Auch unabhängig von anderen Menschen ist es wahnsinnig wertvoll, die Fremdsprache im Alltag präsent zu halten – im Idealfall jeden Tag. Das heißt nicht, dass du dich jeden Tag ein, zwei Stunden hinsetzen musst, um Grammatik und Vokabeln zu büffeln. Das macht auf Dauer wenig Spaß. Und um Spaß soll es ja gehen. Vokabeln und Grammatik büffeln gehört zwar dazu, ist aber nicht alles. Alle Sprachen, die ich aus reinem Pflichtgefühl in der Schule und an der Uni gelernt habe, sind nämlich verschüttet worden. Die Sprache in den Alltag zu integrieren, nimmt einem das Hinsetzen und Büffeln nicht ab – aber es hält über lange Zeit die Motivation aufrecht. Und lässt die Sprache immer weniger fremd erscheinen, sondern immer mehr als eine willkommene Vertraute, die man nicht mehr missen möchte. Aber wie klappt das am besten mit der Präsenz im Alltag? Für mich hat sich Folgendes bewährt:
Was wirklich immer geht, und auch für „Lernmuffel“ die Lernmethode schlechthin ist, ist das Schauen von Filmen und Serien in der jeweiligen Fremdsprache. Dabei geht der Spaß ganz bestimmt nie verloren. Für den Anfang bietet es sich an, mit Untertiteln auf Deutsch oder Englisch zu schauen, später mit den fremdsprachigen Untertiteln und ganz später auch mal ohne alles und nur im O-Ton. Je nach Motivationslevel halte ich das Video hin und wieder an und schreibe mir neue Wörter auf – oder ich lasse den Film laufen und höre mich in die Sprache ein. Auch so etwas simples wie Gewöhnung an den Klang einer Sprache, kann die Motivation, irgendwann alles verstehen können zu wollen, enorm befeuern. Selbiges gilt für Musik. Suche dir Musik in der Sprache, die du lernst, und lass dich in ihren Bann ziehen. Übersetzungen der Songtexte nachzulesen, kann ganz schön erhellend sein – oder ernüchternd. In jedem Fall bietet sich die Chance, ganz nebenbei etwas zu lernen.
Originalsprachige Romane sind für Lernende oft zu kompliziert, sprachlich vertrackt und führen schnell zu Frustration. Original-Texte können einen schon mal, je nach (Fach-)Themengebiet, an den eigenen, mühsam erarbeiteten, fremdsprachlichen Fähigkeiten zweifeln lassen. Leichter klappt es aber, wenn das Buch vorher auf Deutsch gelesen wurde. Ich lasse gern ein wenig Zeit vergehen: Nachdem ich die deutsche Variante gelesen habe, warte ich eine Weile bis ich den fremdsprachigen (Original-)Text lese. Dadurch kann ich mich gut an den Inhalt erinnern, aber nicht mehr wortwörtlich. Das hilft enorm, um nicht in unbekanntem Vokabular zu ertrinken. Der rote Faden der Handlung ist bekannt, wodurch sich neue Wörter leichter erschließen lassen. Außerdem kannst du dich super fortgeschritten fühlen, wenn du es geschafft hat, das erste fremdsprachige Buch zu lesen – egal wie lange du dafür gebraucht hat. Und beim nächsten und übernächsten Buch wird es immer leichter gehen.
Wenn es mit Büchern in leichter Sprache klappt, kann ich empfehlen, ab und zu Online-Nachrichten in der Lernsprache zu lesen, Kurz-Videos über aktuelles Geschehen zu schauen und auch mal in Podcasts reinzuhören. Im Idealfall lernst du dabei nicht nur ein paar neue Vokabeln, sondern erfährst viel Spannendes aus dem Land der jeweilige Sprache und bekommst ein besseres Verständnis für Kultur, Politik und Zeitgeschehen – aus der Innenperspektive des Sprachraumes.
Im Alltag ist an vielen Stellen eins wichtig: Geduld. Das bezieht sich nicht nur auf das Lernen einer Sprache, bei der der Fortschritt nicht von heute auf morgen spürbar ist, sondern sich erst nach Monaten und Jahren bemerkbar macht. Immer wieder muss man auch warten können.
Wartezeiten lassen sich sehr gut (esels-)überbrücken, indem du stets ein kleines Vokabelheft zur Hand hast – oder eine Sprach-App auf dem Smartphone. Passt überall rein und eignet sich für alle Wartezeiten, die schnell zu wertvoller Lernzeit werden, welche kleine, aber wichtige Fenster zum Wiederholen und Festigen öffnen. Ich bin ein überzeugter Fan vom Lernen durch Aufschreiben. Wenn ich italienische Bücher lese, lege ich nach jedem Kapitel eine Pause ein und schlage ein paar unbekannte Wörter nach.
Was mir außerdem hilft, ist die Imagination meines Ziels. Stell dir vor, du kannst deine Wunschsprache schon. Bade ein bisschen in dem Gefühl, wie es ist, sich ganz natürlich in einer anderen Sprache ausdrücken zu können, an Orte zu reisen, an denen du sonst nur Bahnhof verstehen würdest, Menschen kennenzulernen, die du nie kennenlernen würdest, wenn du eine bestimmte Sprache nicht verstehen würdest. Echtes Verständnis für die Denk- und Lebensweisen anderer Menschen, egal in welcher Weltregion, funktioniert hauptsächlich über Sprache. Sprache formt unser Bewusstsein, unsere Identität. Fremdsprachen eröffnen dir völlig neue Horizonte und Möglichkeiten, sie geben dir das Gefühl, „mehr“ zu werden als du vorher warst. Aber belasse es nicht nur bei der Träumerei. 🙂
Und schließlich: Such dir eine Person aus, die Muttersprachler/in ist, und der du gern den lieben langen Tag zuhören könntest. Diese Person kann als sprachliches Vorbild fungieren. Schauspieler/innen, Musiker/innen, Schriftsteller/innen, Journalist/innen etc. eignen sich dafür super. Überlege dir, welche Fragen du ihnen stellen möchtest, für den Fall, dass du sie eines Tages persönlich triffst 😉 – und wie toll du dich fühlen wirst, wenn du endlich verstehen kannst, wovon sie sprechen. Such dir also am besten jemanden aus, von dem noch nicht alle Texte, Interviews und jeglicher Content übersetzt worden sind. Das spornt mehr an. Sprachen mit bestimmten Personen, die Bewundernswertes leisten, zu assoziieren und den Wunsch zu pflegen, sich eines Tages problemlos mit ihnen unterhalten zu können (wenn auch nur theoretisch), ist meine persönliche Geheim-Strategie.
Aufgrund all dieser kleinen Alltagsstrategien hat es sich für mich bewährt, Sprachen zu lernen, in denen viele Medien verfügbar sind. Egal ob Koreanisch, Spanisch, Japanisch, Italienisch, Chinesisch, Französisch, Russisch usw. – in all diesen Sprachen gibt es unglaublich viele Bücher, Filme und Serien, Musik, die überall verfügbar ist. Sie in den Alltag zu integrieren, wird damit zum Kinderspiel.
Was sind deine Erfahrungen mit dem Sprachenlernen? Hast du Strategien, die über Sprachkurse und gängige Lernmethoden hinaus, deine Begeisterung lebendig halten? Wonach entscheidest du dich für eine Sprache, die du lernen willst? Hast du diese Gründe beibehalten oder hat sich deine Einstellung zur gelernten Sprache verändert? Und: Wie lernt man effektiv eine Sprache, in der nur wenige Medien verfügbar sind? Fragen über Fragen. Wer mag, kann gern einen Kommentar hinterlassen.
Es ist noch nicht lange her, da wusste ich mit Podcasts nicht viel anzufangen. Mittlerweile sind sie ein wiederkehrender, gern gehörter Teil meines Alltags. Egal ob beim Spazierengehen, Aufräumen oder in der Bahn: Podcasts sind jederzeit on demand abrufbar und avancieren damit zu einer neuen, moderneren Form des Radiohörens. Mein Einstieg waren die Nachrichtenpodcasts von Zeit Online, die mich über das alltägliche Geschehen in Politik und Gesellschaft informieren. Doch prinzipiell jeder/r, der oder die sich dazu berufen fühlt, kann mit nicht all zu großem Aufwand ein solches Audiomedium produzieren, egal ob Journalist/innen, die es zur Erzählung ihrer Recherchen nutzen, Personen des öffentlichen Lebens, die ihre Stories und Lebensweisheiten mit ihrer Hörerschaft teilen wollen, oder Max M. von nebenan, der dir etwas über Selbstfindung und beruflichen Erfolg ins Ohr quatscht. Der große Vorteil ist die persönliche Verbindung, die Hörer/innen und Gehörte zusammenbringt und eine imaginäre Nähe herstellt. Die Podcast-Landschaft hat sich in den letzten Jahren ungemein diversifiziert und ein riesiges Spektrum an Themen hervorgebracht. Das Praktische: Ich kann sie überallhin auf meinem Smartphone mitnehmen. Also ab damit in die Hosentasche und drauflos gehört! Um meine wachsende Begeisterung für die Podcast-Welt zu teilen, stelle ich nach und nach einige Produktionen vor, die ich besonders empfehlenswert finde.
Los geht es mit…
„The Other Latif“ vom New Yorker Podcast-Radio „Radiolab“ (Sprache: Englisch)
Stell dir vor, du bist Journalist bei einem Podcast-Radio. Im Rahmen deiner Recherchen, stolperst du eines Tages aus reinem Zufall über deinen eigenen Namen, den du bisher für selten und einzigartig gehalten hast. Wer ist dieser Mensch, der den gleichen Namen trägt wie du? Das fragt sich Latif Nasser, als er seinen Namensvetter entdeckt – und feststellt, dass dieser als Häftling im berüchtigten US-Militärgefängnis in Guantanamo Bay einsitzt. Diesem wird nichts geringeres vorgeworfen als die Mitgliedschaft im Terrornetzwerk Al-Qaida sowie die Beteiligung an den 9/11-Anschlägen. Schockiert über seine Entdeckung begibt sich Latif Nasser, der Journalist, auf eine Recherche-Odyssee, um herauszufinden, wer sein Namensvetter wirklich ist: Was ist dran an den Vorwürfen, mit denen die US-Administration den Marokkaner Abdul Latif Nasser ohne gerichtlichen Prozess über Jahre in Guantanamo festhält?
In einer intensiven Recherche wird eine Lebensgeschichte durchleuchtet, die eingebettet ist in den US-amerikanischen „Krieg gegen den Terror“, in politische wie bürokratische Verfehlungen. Dabei wird unser westlich-demokratisches Verständnis von Recht und Gerechtigkeit gehörig auf den Kopf gestellt. Packend erzählt von Latif Nasser, der in sechs Episoden den kompletten Prozess seiner Recherche dokumentiert und in unzähligen Interviews, die ihn um die halbe Welt führen, Wegbegleiter/innen und Angehörige zu Wort kommen lässt. Trotz wiederholter Bemühungen fehlt der wichtigste O-Ton: der von Abdul Latif Nasser alias Häftling Nr. 244 selbst, der seit 2002 bis heute in Guantanamo ausharrt.
Empfehlenswert für alle, die spannenden Investigativjournalismus lieben, sich vom Enthusiasmus des Erzählers mitreißen lassen wollen, der sich dieser Geschichte annimmt, sich verantwortlich fühlt und keinen Aufwand scheut, um sich, trotz unüberwindlich scheinender Hürden, ein tiefstmögliches Verständnis zu erarbeiten. Enthüllungen, die zugleich sprachlos machen und diskutiert werden wollen. Den kompletten Podcast gibt‘s hier: www.wnycstudios.org/podcasts/other-latif
Die Idee, einen eigenen Blog zu schreiben, hatte ich, den präzisen Erinnerungen einiger meiner Mitmenschen zufolge, bereits vor einem Jahr. Mit Warp-Geschwindigkeit zog ein ganzes Jahr an mir vorbei – und es blieb beim guten Vorsatz. Ich will gar keine kreativen Ausreden anführen, wir kennen sie alle: die gute, alte Prokrastination. Ihre Überzeugungskraft wird umso stärker, je länger ein Projekt aufgeschoben wird. Und sie kommt fast nie allein, nein, sie bringt in der Regel ihren nervtötenden kleinen Bruder mit: den inneren Kritiker. Während die Prokrastination es sich schamlos mitten im Kreativraum meines Kopfes bequem machte, kam kurz darauf der innere Kritiker, ihr eifrigster Cheerleader, zu Besuch. Er brachte ihr Kekse mit und sorgte dafür, dass sie sich genüsslich satt und rund fraß. Nun waren dies jedoch keine Chocolate-Chip-Cookies, sondern fiese, bröselige Einwände, die mich effektiv zurückhielten, mein Blog-Projekt in die Realität umzusetzen.
Damit ist jetzt aber Schluss! Denn es gibt zwei Vertreter auf meinem (De-)Motivationsspektrum vor denen die Prokrastination und der innere Kritiker so richtig Schiss haben: Mut und den Moment, in dem ich einfach anfange. Und deshalb verkünde ich nun: Willkommen im Aniversum!
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